Das NORDISCHE MODELL – ursprünglich Schwedisches Modell – gilt als das zur Zeit erfolgreichste Konzept für eine fortschrittliche, menschenwürdige und feministische Prostitutionspolitik. Ein Überblick:
1. CHRONOLOGIE
1998 Schweden verabschiedet mit „Kvinnofrid“ (Frauenfrieden) ein Gesetzespaket zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen.
Die Misshandlung und Vergewaltigung sowie die sexuelle Belästigung von Frauen ist ebenso Inhalt dieses Gesetzespakets wie das Verbot des Erwerbs sexueller Dienstleistungen. Begleitet wird „Frauenfrieden“ von breit angelegter öffentlicher Aufklärung und einer Intensivierung der Sexualerziehung (u.a. auch Auswirkungen von Pornografie-Konsum)
Schweden wird zum Vorreiter in der Reduktion von Prostitution
2006 Finnland plant ein Totalverbot der Prostitution nach schwedischem Vorbild, letztlich wird jedoch nur ein modifiziertes Gesetz erlassen (Freier machen sich strafbar, wenn sie Sex mit Frauen haben, die einen Zuhälter haben oder Opfer von Menschenhandel sind).
2008 schließt sich Norwegen dem schwedischen Modell an.
2009 folgt Island und das schwedische wird zum nordischen Modell.
2013 Im Herbst verabschiedet die französische Nationalversammlung ein Gesetz zur “Bekämpfung des Prostitutionssystems”. Der Senat streicht jedoch 2014 die Paragraphen zur Kundenkriminalisierung wieder aus dem Gesetz. Im Sommer 2015 kommt es zu einer 2. Lesung und die Nationalversammlung stimmt für ein neues Prostitutionsgesetz mit Freierbestrafung.
2014 Bereits Anfang des Jahres nehmen sowohl die EU als auch der Europarat Resolutionen an, in denen Mitgliedstaaten dazu aufgefordert werden, das Nordische Modell in Betracht zu ziehen. Beide sind jedoch nicht bindend.
Kanada übernimmt das nordische Modell. Außerdem stellt Kanada 20 Millionen Dollar für Ausstiegsprojekte zur Verfügung.
Nordirland verbietet im Herbst als erstes Land der UK den Kauf sexueller Dienstleistungen.
Litauen folgt im Dezember mit einem Sexkaufverbot.
2016 Frankreich: Mit klarer Mehrheit verabschiedete im April 2016 die französische Nationalversammlung ein neues Prostitutionsgesetz nach dem Vorbild des Nordischen Modells.
2017 Irland beschließt das Nordische Modell
2018 Israel: Nach einem eindeutigen Votum im israelischen Parlament für die Freierbestrafung, legte das Justizministerium im August einen konkreten Gesetzesentwurf nach Vorbild d. Nordischen Modells vor. Er soll noch 2018 beschlossen werden.
2 . GESETZESGRUNDLAGE
Nicht die Prostitution ist verboten, sondern der Kauf sexueller Dienstleistungen!
Hintergrund:
- Prostitution wird als (Männer)Gewalt gegen Frauen definiert.
- Der Gesetzgeber geht davon aus, dass Prostitution nie freiwillig ist, sondern immer aus einer wie auch immer gelagerten Zwangslage entsteht (ökonomisch, sozial…). Deshalb lässt sich Prostitution nicht mit dem Anspruch der Gleichstellung der Geschlechter vereinbaren.
- Der Staat stellt mit der Kriminalisierung von Sexkauf klar, dass die Käuflichkeit von Sex in einer egalitären Gesellschaft inakzeptabel ist.
- In Schweden greift das Gesetz ein, um die Mehrheit der Frauen zu schützen – auch wenn das bedeutet, dass eine Minderheit deshalb eingeschränkt ist.
Zwei zentrale Ziele:
- Nachfrage eindämmen
- Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen fördern
Damit im Zusammenhang stehen:
- Der Schutz von Frauen vor Gewalt durch Männer
- Bekämpfung des organisierten Verbrechens (Menschenhandel/Zwangsprostitution)
- Die öffentliche Meinung für die Bekämpfung der Prostitution gewinnen
- Langfristig: Die Abschaffung der Prostitution
Aus der Praxis: Ermittlungen und Strafen
- Kunden müssen mit einer Freiheitsstrafe von bis zu 6 Monaten rechnen, Zuhälter müssen mit bis zu sechs und Frauenhändler mit bis zu zehn Jahren Gefängnis rechnen.
- Ersttäter bekommen eine Geldstrafe, wenn sie die Tat zugeben. Leugnen sie, geht ihr Fall vor Gericht. Von allen festgehaltenen Kunden werden DNA-Proben genommen und mit der Datenbank bekannter Verbrecher abgeglichen.
- Die Polizei macht Beobachtung vor Wohnungen, von denen sie wissen, dass dort Prostitution stattfindet. Kunden werden bei Herauskommen aus dem Gebäude festgehalten und die Polizei hat die Erlaubnis, ihr Handy zu konfiszieren. Hier finden sich Telefonnummern und Textnachrichten, die auf den Kontakt hinweisen.
Folgen des Gesetzes
2010 wurde eine Evaluierung über die Auswirkungen des schwedischen Modells von der Schwedischen Regierung für den Zeitraum 1999 bis 2008 vorgelegt. Die wichtigsten Ergebnisse:
In Schweden ist der Menschenhandel nicht gestiegen – entgegen dem internationalen Trend!
(Laut Polizei werden 400 bis 600 Ausländerinnen im Jahr zur Prostitution nach Schweden gebracht. Im nur halb so großen Finnland sollen es zwischen 10.000 und 15.000 Frauen sein.)
- Kriminalisierung wirkt als Barriere: Händler raten aufgrund der schwierigen Marktlage von Schweden ab.
- Die Ausforschung der Hintermänner ist leichter geworden, da sich durch Verfahren gegen Freier die Beweisführung nicht mehr ausschließlich auf das Opfer alleine stützen muss.
- Über 1 Mill. € hatte die schwedische Regierung für die Umsetzung des Gesetzes zur Verfügung gestellt. Davon gingen fast 800 Mio. an die Polizei, die dieses Geld in ihrem Ermessen verwalten und verteilen konnte.
- Prostituierte geben an, dass sie sich von der Polizei ernster genommen fühlen und sich eher an Hilfsangebote wenden.
- Die Straßenprostitution ist seit Inkrafttreten des Gesetzes um ca. 41% zurückgegangen.
Große Akzeptanz in der Bevölkerung: 80% sind heute für das Gesetz!
(„In jeder Grundschule lernen die Kinder, dass es unrecht ist, Frauen für Sex zu kaufen.“) Vor Einführung des Gesetzes waren in Schweden 13,6% der Männer Sexkäufer, jetzt sind es 7,9%. – Zum Vergleich: In Spanien sind es 39%, in den Niederlanden 60%, in Thailand haben 73% mindestens einmal Sex gekauft, in Deutschland reichen die Angaben bis 75%, jeder dritte Mann geht regelmäßig zu Prostituierten!