Das erste Webinar der Initiative „STOPP SEXKAUF“ über das NORDISCHE MODELL stieß auf sehr großes Interesse. Sind wir doch die einzige Organisation in Österreich die dieses aus Schweden kommende Modell, das eine feministische Antwort auf die weltweite Ausbeutung der Frauen in der Sexindustrie ist, aktiv befürwortet. Das Webinar setzte sich u.a. mit der Historie des “Nordischen Modells“ und den rechtlichen Grundlagen in jenen Ländern auseinander, die sich bis jetzt dazu bekannt haben. Der folgende Beitrag von Brigitte Hofmann-Muzik, ebenfalls eine Mitinitiatorin von STOPP SEXKAUF geht auf die sozialpolitische Dimension des „Nordischen Modells“ ein und bekam besonders viel Beifall.
Vortrag von Brigitte Hofmann-Muzik am 3. Dez. 2020
Wie Sie sicher alle wissen, findet unser erstes Webinar als Teil der Veranstaltungen im Rahmen der „16 Tage gegen Gewalt an Frauen“ statt. Das ist der Zeitraum zwischen dem 25. November – dem internationalen Gedenktag für alle Frauen und Mädchen die Opfer von Gewalt wurden – und dem 10. Dezember – dem internationalen Tag der Menschenrechte. Ein Zeitraum, den auch PolitikerInnen immer wieder gerne zum Anlass nehmen, um sich klar gegen jede Gewalt an Frauen zu positionieren und große Reden zu halten, wie schwer Gewalt gegen Frauen und Mädchen wiegt und wie fundamental diese Gewalt die gesamte Gesellschaft tangiert.
Gegen Gewalt an Frauen und Mädchen! Das ist, ich bin mir sicher, ein Bekenntnis, hinter dem wir alle stehen. Es geht dabei um Gewalt, um Menschenrechte und um Frauenrechte-
und um die umfassenden Konsequenzen die Gewalt gegen Frauen für die gesamte Gesellschaft hat.
Und hier kommt das Nordische Modell auf die Agenda.
Denn Prostitution und Sexkauf betreffen ja nicht nur unmittelbar die Sphäre der Laufhäuser und Bordelle, die Situationen auf dem Strich oder in den Verrichtungsboxen – und die jeweiligen Reaktionen der AnrainerInnen darauf, sie betreffen nicht nur die Deals zwischen Käufern von Frauen und Sex, und jenen die Profite aus den Frauen in Prostitution generieren, sondern Prostitution und Sexkauf betreffen mittelbar uns alle, alle Frauen und Männer, alle Personen die in einer Gesellschaft leben – DENN – die geschlechterrelevanten Strukturen innerhalb der Prostitution sind für die Geschlechterverhältnisse in der ganzen Gesellschaft relevant.
Der Umgang mit Prostitution, sowohl im Diskurs als auch in der juristischen Ausgestaltung, ist somit ERSTENS ein grundsätzliches Thema der Gesellschaftspolitik und ZWEITENS auch ein Indikator dafür, wie ernst Regierungen und alle an gesellschaftspolitischen Prozessen Beteiligten die Fragen von Geschlechtergerechtigkeit, aber auch die Umsetzung der Menschenrechte in einer Gesellschaft nehmen.
Das „ Nordische Modell“ ist in erster Linie ein Commitment für die Rechte und den Schutz von Frauen in einer Gesellschaft.
Eine Gesellschaft, eine Regierung kann nicht gegen jede Art von Gewalt an Frauen angehen wollen und gleichzeitig ignorieren, dass die Sphäre der Prostitution per se eine grundsätzlich gewalttätige ist.
Im Folgenden möchte ich 4 Gründe aufzeigen, warum wir zum Thema Sexkauf dringend gesellschaftspolitische Maßnahmen, das Nordische Modell nämlich, einfordern müssen:
Die ersten beiden Punkte betreffen die Menschenrechte:
Ist ein Menschenrecht ein individuelles Recht, und wie sieht es aus mit Menschenrechten für Frauen?
- MEIN MENSCHENRECHT, DEIN MENSCHENRECHT
Eine Frage: Geht es beim Thema Menschenrecht, Freiheit, Selbstbestimmung in erster Linie darum, dass ICH das Recht habe zu tun, was immer ICH will?
Es ist einfach zu erkennen, dass das nicht die ursprüngliche Intention bei der Implementierung der allgemeinen Menschenrechte sein kann.
Menschenrechte sind immer unteilbare Rechte und werden dennoch durch die gleichen Rechte anderer Personen beschränkt –
Allerdings sind Menschenrechte auch hier in den letzten Dekaden langsam zu etwas erodiert, das eher das Recht der Stärkeren schützt, denn die Rechte der Schwächeren im Auge behält.
Deshalb kann nicht oft genug darauf verwiesen werden:
Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren, jede und jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.
Das gilt für alle Menschen- egal wo sie leben, egal welche Staatsangehörigkeit sie haben, welches Geschlecht, welchen Bildungsstatus etc.
Damit ist klar, dass individuelles Recht einzelner Personen oder Gruppeninteressen diese unteilbaren Rechte für jede Person nicht verdrängen, ignorieren oder ausblenden dürfen.
Individuelles Recht steht niemals über den Rechten, die für alle Menschen Gültigkeit haben!
Für mich bedeutet aber MEIN Menschenrecht auch, dass ich mich für das Menschenrecht anderer- Schwächerer, Ärmerer, Ausgebeuteter, Unterdrückter und Benachteiligter einsetzen muss. Das sind Menschen, die selbst keine Stimme erheben oder erheben können. Das ist nicht paternalistisch, sondern eine Frage der Solidarität. Das ist die Aufgabe die jede und jeder von uns als Teil einer Gesellschaft auch übernehmen muss.
- MENSCHENRECHTE SIND AUCH FRAUENRECHTE, sie müssen nämlich –losgelöst von Class, Race und Gender- für alle Menschen gelten.
Was die Realität in der Prostitution anbelangt, beim Handel mit Frauen und Mädchen, beim Sexkauf, das ist eine hochgradig vergeschlechtlichte Sphäre, in der eindeutige Geschlechterbilder gelten und immer wieder reproduziert werden. Das heißt:
Wer zahlt schafft an. Wer sichs leisten kann, kauft sich wonach immer ihm gerade der Sinn steht – Pornoplattformen schaffen unendlich neue Spielarten von Begierden und Begehrlichkeiten, die Erregung immer stärker an Gewalt und Erniedrigung koppeln.
Wer es sich nicht leisten kann sucht nach einem Schnäppchen, und will trotzdem das Gefühl haben, dass „wer zahlt anschafft“. Wer keine anderen Möglichkeiten hat, macht als sogenannte „neue Dienstleisterin“ mit -oder diese Frage stellt sich gar nicht – die Zwangslagen sind mannigfaltig.
Die Frage von Macht und Ohnmacht ist hier jedenfalls immer eindeutig. Und die Konsequenzen, die das Dulden dieser gewalttätigen, ausbeuterischen, ignoranten Umstände in der Prostitution für die Gesamtgesellschaft und das Frauenbild und Männerbild insgesamt haben, sind auch eindeutig!
Warum zahlen, wenn Mann dasselbe durch Gewalt auch gratis bekommen kann?
Der Mythos, dass durch ein Sexkaufverbot die Anzahl der Vergewaltigungen steigt ist sarkastisch-wo Männer gewohnt sind, dass ihnen alles zusteht, dass das weibliche Gegenüber ein käufliches, minderwertiges Gegenüber ist, werden sich Menschenrechte / Frauenrechte die für alle gelten nicht durchsetzen lassen.
Wo der Glaube an ein verbrieftes Herrenrecht herrscht, wird sich das Frauenrecht immer hinten anstellen können!
Wo der Mythos der zwingenden Triebabfuhr beim Mann die Rahmenbedingungen vorgibt, hatten Frauen immer schlechte Karten.
Wie praktisch für die herrschenden, patriarchalen Machtverhältnisse.
Wenn wir nicht endlich das Sozialkonstrukt der Überlegenheit des Mannes grundsätzlich angehen, werden wir uns noch in 50 Jahren wundern, warum beim Durchsetzen der Geschlechtergerechtigkeit so wenig erreicht werden konnte.
Wenn ein demokratisches Land sich zum Schutz der Rechte aller, und somit auch zum Schutz der Rechte aller Frauen verpflichtet hat, DARF es eigentlich keine legale Möglichkeit geben, die Männern weiter ein Herrenrecht verbrieft, das zu Lasten der Menschenrechte aller Frauen geht und täglich in den Bordellen alle Länder real ausgelebt werden darf.
Solange Männer Frauen als „Frischfleisch“ bezeichnen und als solches kaufen können, wird keine Frau etwas anderen als Ware sein!
Der aus feministischer Sicht zwingend erforderliche dritte Grund, der auf die Notwenigkeit des Nordischen Modells in Österreich verweist, hängt unmittelbar mit dem Vorangesagten zusammen:
- Wie wir wissen, wird – paradoxer Weise – das Thema Prostitution und Sexkauf hier, aber auch in vielen anderen Ländern unter dem Schlagwort der „Selbstbestimmung“ diskutiert.
Im Rahmen dieses Normalisierungsdiskurses wird die prostituierte Frau zur Sexarbeiterin, zur neuen Selbständigen, zur selbstbestimmten Dienstleisterin, zur selbstermächtigten Freiwilligen –
also folgt, wenn man den Sexkauf verbietet, würde man die Frauen diskriminieren, würde sie ihrer Macht und ihrer Selbstbestimmung berauben – Sexwork is work …
Das ist eine unverständliche und an Zynismus kaum zu überbietende These – dennoch – im nordischen Modell wäre ja der Sexkäufer kriminalisiert und nicht prostituierte Frau.
Kümmern wir uns also in erster Linie darum, dass Frauen soweit geschützt sind, dass sie nicht in die Zwangslage kommen prostituiert zu werden oder sich prostituieren zu müssen, gewährleisten wir Ausstiegshilfen, Beratung, Unterstützung, und sehen wir dann, wie viele freudige, freiwillige Dienstleisterinnen sich diesem alten Herrenrecht unterwerfen werden.
Und es kann auch nicht sein, dass sich die sogenannten liberalen, sexpositiven oberen Bildungsschichten ihr Recht auf einen neoliberalen Lifestyle Feminismus auf dem Rücken anderer Frauen, schwächerer Frauen, auf dem Rücken von Frauen mit wenigen oder keinen Perspektiven gönnen. JA – die Frage der Prostitution ist schon im Grundzug eine Klassenfrage – und man kann die Frage von Klasse, sowie die imperialistischen und rassistischen Strukturen die im System Prostitution relevant sind, nicht durch den Terminus „sexpositivity“ unbedeutend und unsichtbar machen!
Tatsächliche Solidarität ist gefordert – nicht die Umdeutung der Unterdrückung in eine Form der Selbstermächtigung!
Und bis dahin verbieten wir den Sexkauf, damit keine Frau durch andere Personen, Männer oder Frauen, Zuhälter oder Menschenhändler, Onkel, Väter, Brüder oder andere Familienmitglieder in die Prostitution gezwungen werden kann, weil sie keine andere Möglichkeit hat oder ihr keine andere Möglichkeit gelassen wird.
Denn für den Status aller Frauen einer Gesellschaft, wäre das eine zwingende Regel – keine Männerprivilegien mehr, die zu Lasten von Frauen gehen! Das ist doch eines unserer feministischen Ziele – nicht die Umdeutung der Unterdrückung in eine Form der Selbstbestimmung.
Das „Nordische Modell“ verhandelt nicht individuelles Begehren und Sinnlichkeit, nicht Erotik und Sexualität – schlaft doch mit wem ihr wollt oder auch nicht – aber: das „Nordische Modell“ macht sich auf den Weg, um alle Frauen die unmittelbar oder mittelbar vom System Prostitution betroffen sind – also alle Frauen der Gesellschaft zu schützen und den Anspruch nach Gleichberechtigung umzusetzen.
- Der vierte Punkt zur gesellschaftlichen Notwendigkeit eines Sexkaufverbots ist am besten zu verdeutlichen, wenn wir uns die sogenannte „unsichtbare Hand des freien Marktes“zum Thema Prostitution überlegen.
Bleibt der Status so, wie derzeit hierorts ist, dass Prostitution stigmatisiert aber Sexkauf ok ist, wird sich an der oftmals dramatischen Situation für Frauen in der Prostitution nichts ändern.
Die Rechte der Stärkeren, der Privilegierten dominieren alle anderen auf diesem Markt.
Die ZuhälterInnen und BordellbetreiberInnen machen enorme Gewinne, Personen- die diesen Profiteuren zuarbeiten- setzen diese Interessen mit Gewalt und Druck gegen die Unterlegenen auf diesem Markt durch.
Der Nachschub an Frauen ist grenzenlos, die Ware verschleißt schnell
Sämtliche Versuche zu liberalisieren haben die Situation der Frauen nicht verbessert – wie auch? Ist es doch Teil des Deals, der das Herrenrecht ermöglicht. Prostitution funktioniert auf Basis des beschriebenen Machtgefälles und den Sexkäufern geht es oftmals gerade um dieses.
Überlassen wir diese Situation dem sogenannten freien Markt, dann haben wir uns von sämtlichen menschenrechtlichen Vereinbarungen und Verpflichtungen entfernt, denn die Waren auf diesem Markt sind Menschen, es sind (in der Regel) Frauen, die konsumiert und gehandelt werden.
Was ist mit „den Waren“ wenn es keine Nachfrage mehr für Sie gibt? Und die Nachfrage nach immer mehr „Jugend“ ist eindeutig!
Was geschieht mit den Frauen, die in der Prostitution waren aber nicht mehr der Nachfrage entsprechen?
Was ist mit diesen Frauen, wenn die krank sind, wenn sie alt sind – oder beides?
Wenn Sexarbeit Arbeit ist -und es steht jeder Frau in der Prostitution frei, das so zu sehen- aber was kommt dann – bei Krankheit, im Alter, dann, wenn das Fleisch nicht mehr frisch genug ist?
Wenn wir uns als Gesellschaft nicht konsequent verpflichten, diesem Markt – dessen Waren Menschen sind, – entgegen zu wirken dann haben wir uns von den Grundwerten, die wir vorgeben als demokratisches Land zu haben, die wir vor uns hertragen wie ein Banner, soweit entfernt, dass jedes Reklamieren von Menschenrecht, Demokratie und Solidarität zur Farce gerät.
Ich fasse die Gründe, die die gesellschaftspolitische Relevanz des Themas Prostitution und den Verbot des Sexkaufs im Rahmen des Nordischen Modells betreffen nochmals zusammen:
Menschenrechte sind unteilbar – sie gelten im gleichen Maß für alle Menschen
Menschenrechte sind auch Frauenrechte. Frauen in Prostitution und Frauen insgesamt sind davon nicht ausgenommen
Gewalt gegen Frauen zu verhindern, heißt auch, sich bewusst zu machen, wo überall diese Gewalt ausgeübt wird.
In der Prostitution geht es einerseits um die direkte Gewalt gegen Frauen in der Prostitution selbst, aber auch darum, dass durch das Normalisieren des Systems Prostitution und das Akzeptieren des Sexkaufs als Marktstruktur die strukturelle Gewalttätigkeit und das Machtgefälle zwischen Männern und Frauen unangetastet und akzeptiert bleibt.
Der Staat muss erkennen, wo das Problem liegt – und nicht weiter an einem Modell der Triebabfuhr durch Herrenrecht festhalten. Dasselbe gilt für uns alle!
Es braucht Solidarität und keine neoliberalen Umdeutungen – Solidarität mit allen Frauen, Solidarität mit Frauen in der Prostitution – es geht nicht darum, Frauen Vorschriften zu machen, aber darum Sorge zu tragen, dass keine Frau in gewalttätigen Verhältnissen leben muss. Es müssen Strukturen da sein, die Ausstieg ermöglichen, wenn die Frauen das wollen.
Sexkauf ist – wie beschrieben- sowohl unmittelbar als auch mittelbar nicht mit Geschlechtergerechtigkeit vereinbar.
FRAUEN SIND KEINE WARE