KOMMENTAR von ALEXANDRA WEISS
Die sexuellen Angriffe auf Frauen in der Kölner Silvesternacht sind erschütternd. Aber auch die Reaktionen darauf sind bedenklich. Noch bevor hinreichend Informationen in der Öffentlichkeit bekannt waren, hatten einige schon die Ursachen der Übergriffe ergründet – falsche Toleranz, gescheiterte Integrationspolitik, naive Willkommenskultur – und die Lösung des Problems parat: „Masseneinwanderung stoppen“. In Windeseile ist das Problem der Männergewalt ethnisiert, also zum „Ausländerproblem“ gemacht worden. Das verstellt den Blick auf das Geschehene und erschwert die Analyse der Hintergründe. Aber darum geht es vielen in dieser Auseinandersetzung gar nicht. Genauso wenig, wie es in diesem rassistischen Diskurs um die Opfer der Übergriffe oder um Solidarität und Mitgefühl mit ihnen geht. Wer nach diesen Vorfällen von Einwanderungsstopp spricht, dem geht es nicht um die sexuelle Gewalt und die Opfer. Hier wird Sicherheit von Frauen instrumentalisiert, um rassistische Hetze zu betreiben.
Man könnte angesichts der Reaktionen auf die Übergriffe in Köln und anderen Städten den Eindruck gewinnen, als ob wir bislang in einer „sexismusfreien“ Gesellschaft gelebt hätten, deren friedliches Bild nun durch Einwanderer und Flüchtlinge gestört wurde. Interessant dabei ist, wer dieses Bild zeichnet und neuerdings als Verteidiger von Frauenrechten auftritt.
Es sind vor allem jene am rechten Rand des politischen Spektrums angesiedelten Kräfte, die sich ansonsten, wenn es um’s Geschlechterverhältnis geht, gerne die Verhältnisse vergangener Jahrzehnte zurückwünschen, als rechtliche Gleichstellung, sexuelle Selbstbestimmung von Frauen und die Politisierung von (sexueller) Männergewalt noch kein Thema waren. Wer sich mit dem Frauenbild der Rechtspopulisten und Rechtsextremen befasst, kann viel über die Gefährdung der Familie durch überschießende Gleichstellungsbestrebungen von Frauen und dadurch ausgelöste Männlichkeits- wenn nicht gar Gesellschaftskrisen lesen. Partnerschaftlichkeit ist dabei kein Thema, proklamiert wird eine „natürliche Ordnung“ der Geschlechter, die eine Unterordnung von Frauen meint. Die Haltung zu Gewalt gegen Frauen könnte man so zusammenfassen: entweder sind die Frauen selbst schuld oder „die Ausländer“.
Nebenbei wird in der üblichen antifeministischen Manier auch ein Schlag gegen Feministinnen geführt: Es wird ein „großes Schweigen der Feministinnen“ konstatiert, die nun hoffentlich von ihrer naiven „Willkommensklatscherei“ geheilt wären. Das Verschweigen der – für rechte Ideologen vielleicht zu differenzierten – feministischen Debatte ist Strategie. Lässt sich so doch besser das Bild der „sonst bei jeder Kleinigkeit aufheulenden Gender- und Feministinnenecke“ zeichnen, die nun schweigt, weil unter den Tätern auch Flüchtlinge waren. Zu dem Zeitpunkt, als diese „Vorwürfe“ erhoben wurden, war allerdings noch kaum etwas über die Täter und deren Herkunft bekannt. Dazu sind zwei Anmerkungen zu machen: Zum einen sollte es nicht relevant sein, welcher Herkunft die Täter sind. Wir wissen, dass sexuelle Gewalt und Übergriffe, in allen Klassen und Kulturen vorkommen. Zum anderen schreckten die Verantwortlichen in Politik und Polizei vermutlich aufgrund der rassistischen Stimmungsmache davor zurück über die Herkunft der Täter zu sprechen. Die aufgeheizte Atmosphäre ließ rassistisch motivierte Ausschreitungen befürchten, die inzwischen ja auch eingetreten sind: Demonstrationen von Pegida und anderen rechten Gruppierungen bis hin zu gewalttätigen Angriffen gegen „arabisch oder nordafrikanisch aussehende“ Männer, ganz zu schweigen von dem was sich in den sozialen Medien tut.
Kaum zur Sprache kommt in der aktuellen Auseinandersetzung aber welche Geschlechterkultur in Deutschland oder Österreich herrscht und vermittelt wird. Wie schon eingangs angedeutet, muss der Sexismus in unseren Breiten keineswegs „importiert“ werden. Sexismus interessiert in der Regel allerdings kaum noch – auch nicht etwa in Bezug auf das in den 1980ern und 1990ern viel diskutierte Thema „Sexismus in der Werbung“. Obwohl hier ein deutlicher Backlash konstatiert wird und wieder vermehrt „Watchgroups“ gegen sexistische Werbung gegründet wurden. Aber das hat offensichtlich keinen Neuigkeitswert und insofern kaum einen Nachrichtenwert. Die Diskussion über sexuelle Belästigung im Rahmen der Strafrechtsreform letztes Jahr, zeigte, wie hierzulande das Problem zu einem sogenannten „Po-Grapsch-Paragraphen“ verkleinert und damit lächerlich gemacht wurde. Auch Prostitution wird kaum (noch) als Ausdruck von Sexismus, hierarchischen Geschlechterverhältnissen und ökonomischer Ungleichheit zwischen den Geschlechtern analysiert sondern als Vertrag zwischen selbstbestimmten Erwachsenen normalisiert. Paradoxe Folge dieser Kultur ist, dass neben den frauenpolitischen Erfolgen, die zweifelsohne errungen wurden, eine Entpolitisierung und Individualisierung von sexistischen Strukturen in unserer Gesellschaft stattfindet.
Vor diesem Hintergrund ist auch davon auszugehen, dass viele der – doch immer noch überwiegend männlich dominierten – Medien das Sexismus-Thema ohne die Komponente „Flüchtlinge / Einwanderer“ kaum aufgegriffen hätten. Das in der aktuellen Debatte viel zitierte Münchner Oktoberfest hat in Bezug auf sexuelle Gewalt bislang nicht für derart großes Aufsehen gesorgt – jedenfalls nicht so anhaltend und grenzüberschreitend. Auffällig ist hier auch das Bemühen mancher AutorInnen die sexuellen Übergriffe auf dem Oktoberfest zu relativeren und von den Kölner Ereignissen abzugrenzen. Unter anderem dadurch, dass belegt werden soll, dass die beiden Phänomene angesichts der Anzahl an BesucherInnen und den gemeldeten Übergriffen nicht vergleichbar seinen. Wann also sind sexuelle Gewalt und Übergriffe ein Problem und wer beurteilt das?
Das sollte nicht davon ablenken, dass in manchen Einwanderungs-Communities ein bedenkliches Frauenbild herrscht, das sexuelle Übergriffe und Gewalt gegen Frauen legitimiert. Das muss diskutiert werden, aber ohne zu generalisieren oder es zum Anlass für eine restriktive Asylpolitik zu nehmen. Es wäre hier aber wohl auch angebracht über den europäischen Tellerrand hinaus zu blicken und zu fragen, was in diesen Gesellschaften in den letzten dreieinhalb Jahrzehnten passiert ist. Wie und warum in ehemals eher säkularen Gesellschaften eine derart massive Wiederkehr des Religiösen stattfand, die mit einer extremen Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Frauen und einer Tabuisierung von Sexualität einherging. Es ist auch zu diskutieren, aus welchen Verhältnissen diese Menschen geflüchtet sind und wie sie das Erlebte geprägt hat. Denn, dass Menschen, die aus Bürgerkriegsregionen kommen, traumatisiert und brutalisiert wurden, sollte nicht erstaunen. Die Frage ist, wie wir damit umgehen, denn Europa ist nicht ohne Verantwortung für diese Entwicklungen. Die Grenzen dicht zu machen, ist sicher keine Lösung.
Was es braucht, ist eine seriöse und differenzierte Debatte über Sexismus und sexuelle Gewalt gegen Frauen, eine Nachdenken über das Geschehene und eine Analyse der gesicherten Fakten – über die wir inzwischen zwar mehr aber nicht alles wissen.
Die Frage ist, wie Frauen vor sexueller Gewalt und Übergriffen geschützt werden können und wie eine Kultur der Gleichberechtigung gefördert werden kann.
Dr. Alexandra Weiss ist Politikwissenschafterin in Innsbruck
Der Kommentar erschien erstmals am 16. Jan. 2016 in der Tiroler Tageszeitung