Die Rede der französischen Frauenministerin Najat Vallaud-Belkacem, die sie am 29.11.2013 vor dem französischen Abgeordnetenhaus gehalten hat.

Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordnete,

bevor ein Kunde irgendwo in einer unserer Straßen oder an einem unserer Waldränder eine sexuelle Dienstleistung kaufen kann, werden Frauen und manchmal auch Männer verkauft, gekauft, getauscht, eingesperrt, vergewaltigt und misshandelt, betrogen, bedroht, ausgeraubt und, ganz wie ihre Familien und ihre Kinder, den schlimmsten Erpressungen ausgesetzt, ­exportiert und importiert wie eine beliebige Ware, ein Tier oder ein verderbliches Lebensmittel.

Erst dann kann ihr Leben als Prostituierte beginnnen: Vergessen wir nicht, vergessen Sie nicht, bevor Sie sie als Prostituierte betrachten, dass es Menschen sind. Und sollte es Ihnen dafür an Vorstellungskraft fehlen, dann denken Sie an die jungen Afrikanerinnen, deren nigeria­nischer Zuhälterring gestern Abend in Spanien ausgehoben wurde, junge Frauen, deren dreijährige Kinder, an ein Bettgestell gefesselt, seit über zwei Jahren eingesperrt waren, um ihre Mütter zur Prostitution zu zwingen. Nachdem man die Frauen erst nach Marokko verkauft und anschließend in Europa, in Frankreich ausgebeutet hatte.

Warum all diese Gewalt? Wenn die Prostitution sich ohne Widerwillen und ohne Leid ausüben ließe, bedürfte es kaum der Notwendigkeit, solche Mittel einzusetzen.

Die Gesichter, die Körper, die Schicksale dieser für immer beschädigten Opfer sollten Sie sich stets vor Augen halten. Denn sie machen heute das Wesen der Prostitution aus, das Wesen des Systems Prostitution. Ein System, das jährlich 40 Milliarden Dollar umsetzt, das vor allem diejenigen bereichert, die vom Menschenhandel, vom Verbrechen und vom Drogenhandel leben.

Ein System, das nicht existieren würde, wenn es nicht am anderen Ende der Kette zahlende Abnehmer gäbe.

Warum wird für den Körper einer Frau bezahlt? Ich höre die Argumente, die seit einigen Tagen ohne jede Hemmung vorgebracht werden. Diese Diskussion ist, nebenbei bemerkt, eine Stunde der Wahrheit für unsere Gesellschaft. Und dank der Arbeit des Parlaments, die im Zentrum der Diskussion steht, auch eine Stunde der Demokratie.

Warum wird für den Körper einer Frau bezahlt? Weil das schon immer so war, sagen manche. Frauen werden gekauft, das ist angeblich ein unausgesprochenes Gesetz der Welt. Demnach gibt es auf unserem Planeten ein Gesetz der Schwerkraft, das die Frauen automatisch immer wieder den Männern unterwirft. Was für eine Absonderlichkeit und was für eine Trägheit, es dabei bewenden zu lassen. Ich wage nicht zu glauben, dass unter Ihnen, die Sie die Gesetze machen und Tag um Tag, Monat um Monat deren Auswirkungen verfolgen, jemand auf einen solchen Gedanken verfallen könnte.

Nicht das Schicksal macht die Gesetze, sondern Sie, die Parlamentarier. Ihnen obliegt es, zu verhindern, dass Freiheit zu Unterdrückung führt, und dafür zu ­sorgen, dass der Schwache seine Freiheit erlangt.

Warum sollen wir zulassen, dass für den Körper einer Frau bezahlt wird? Wie oft ist die Rede von den „ununterdrückbaren Bedürfnissen“ der Männer! „Ununterdrückbare Bedürfnisse“, der Ausdruck ist schrecklich, unerträglich, empörend. Wir müssen auf die Menschlichkeit vertrauen, die jeder Mann und jede Frau in sich trägt. Darauf zu setzen, meine Damen und Herren Abgeordnete, ist Ihre vornehmste Aufgabe.

Warum soll man zulassen, dass für den Körper einer Frau bezahlt wird? Weil der Kunde manchmal leidet, sexuell, körperlich und seelisch? Ich bestreite nicht, dass das vorkommt. Jeden Tag beobachte ich, in welch großer Not sich manche Männer befinden. Die Gewalt gegen Frauen entspringt fast immer dieser Notlage auf ­Seiten der Gewalttäter. Aber die Not des einen wird nicht durch die Ausbeutung der Not des anderen gelindert. Sie kann niemals als Rechtfertigung dienen.

Seit wann lässt denn unser Land zu, dass die Freiheit so weit geht, anderen zu schaden? Seit wann geben wir dem einen Leid den Vorzug gegenüber einem anderen? Seit wann wird der Körper eines Menschen mit einem Heilmittel gleichgesetzt? Seit wann verschafft man sich eigenes Wohlbefinden auf Kosten eines anderen Menschen?

Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass man seinen Körper nicht dem Wohlergehen eines anderen zuliebe verkaufen kann, ohne selbst Schaden dadurch zu nehmen. Die Unterscheidung von Körper und Mensch ist ein Hirngespinst. Wenn sie immer wieder gemacht wird, entsteht ­daraus ein Gefühl von Unwirklichkeit, Selbstentfremdung, Gleichgültigkeit und Gefühllosigkeit. Wissen Sie überhaupt, dass schwere psycho-traumatische Störungen bei Prostituierten genauso häufig ­vorkommen wie bei Folteropfern und ­politischen Gefangenen?

Die Frauen haben ihr Recht auf Selbstbestimmung über ihren Körper teuer erkauft. Dieses Recht ist ein Grundrecht und es gilt selbstverständlich auch für die Sexualität. Es ist ein Recht, für das ich voll und ganz eintrete. Und eben weil ich uneingeschränkt dafür eintrete, erkenne ich kein Verfügungsrecht über den Körper eines anderen an und weise mit aller Kraft die archaische Sicht zurück, derzufolge man über den Körper einer Frau frei verfügen kann.

Ich will keine Gesellschaft, in der Sexualität eine Dienstleistung ist, die vorbeifahrenden Autos wie ein Hamburger angeboten wird. Ich will keine Gesellschaft, in der Frauen einen Preis haben. Ich will keine Gesellschaft, in der Frauen, wie es in einigen Ländern geschieht, Ermäßigung für Senioren gewähren oder für ­Sozialhilfempfänger oder für Radfahrer. All das will ich nicht.

Warum soll für den Körper einer Frau bezahlt werden können? Weil Frauen angeblich damit einverstanden sind … Das ist das häufigste Argument, das einfachste, schockierendste, faulste, ungeeignetste, das man vorbringen kann, um den Kauf einer sexuellen Dienstleistung zu rechtfertigen. Noch nie hat Ihr Parlament in Erwägung gezogen, dass man einem Handel mit dem eigenen Körper zustimmen könnte.

Bei der Prostitution geht es nicht um Sexualität. Wir sind nicht dazu da, die Sittenpolizei zu spielen. Aber wir sind dazu da, unsere wichtigsten Grundsätze zu verwirklichen. Worum es bei der Prostitution geht, das ist Geld. Das Geld bestimmt den Willen der Beteiligten, und eben dieses Geld fördert die Zuhälterei. Bei der Prostitution ist die Einwilligung in die sexuelle Handlung ein Vorgang, bei dem derjenige, der zahlen kann, das Recht hat, diejenigen zu unterwerfen, denen keine andere Wahl bleibt. Die Männer als „chair de canon“ (Kanonenfutter), die Frauen als „chair de prostitution“ (Frischfleisch), wie die Zeitung Le Populaire zu Anfang des Jahrhunderts schrieb. Wenn sich die Herrschaft des Geldes mit der männlichen Herrschaft verbindet, wird die Macht unerträglich.

Meine Damen und Herren Abgeordnete, früher bezeichnete man Prostituierte als „Freudenmädchen“, „Straßenmädchen“, „leichte Mädchen“, weil man sich einer Realität schämte, die die gesamte Gesellschaft durchdrungen hatte. Heute spricht man von Nigerianerinnen, Chinesinnen, Rumäninnen, Bulgarinnen oder Moldawierinnen. Man benennt die Prostituierten nach ihrer Nationalität. Die Prostitution hat ihr Gesicht verändert, und die Wörter beschreiben jetzt eine immer härter werdende Realität: Man sagt ‚pute‘ (Nutte). Warum auch nicht, wenn sich doch das Wort überall in unseren Wortschatz eingenistet hat!

Das Wort „Hure“ steht für eine Rea­lität. Es ­erinnert uns daran, dass am ­Anfang der Gewalt gegen Frauen oft die Beschimpfung steht, die hassgeladene ­Beschimpfung. Dieses Wort dient mittlerweile als Sammelbegriff, in dem sich die alltägliche Unterdrückung der Frauen entlädt. Ein Wort, das sich die Kinder auf dem Schulhof an den Kopf werfen, ohne überhaupt zu wissen, was es bedeutet. Ein bloßes Schimpfwort, das als Floskel benutzt wird, das man an einer Straßenecke, an einem Autofenster hört. Ein Schimpfwort, das gewalttätige Männer immer als Waffe verwenden, um ihr Opfer zu ­demütigen: Hure!

Hier auf dieser Tribüne denke ich an die Frauen, manchmal auch Männer, die man auf ihre Situation als Prostituierte ­reduziert, obwohl sie doch zuallererst Frauen und Männer sind. Ich möchte ihnen sagen, dass sie einen Platz in unserer Gesellschaft haben als Bürgerinnen und Bürger, einen Platz wie alle anderen auch. Ich möchte ihnen das Recht zugestehen, etwas anderes zu sein als eine Ware.

Nach der Abschaffung der Sklaverei begannen Victor Schoelcher und Victor Hugo mit dem Kampf für die Abschaffung der Prostitution. Deshalb liegt uns so viel an dem Begriff: Abschaffung. Das Polizeipräsidium verhinderte damals den Erfolg ihrer Bemühungen, und wir mussten 70 Jahre warten, bis der Kampf fortgesetzt wurde.

1976 versuchten Simone Veil und Françoise Giroud vergeblich, das Thema wieder aufzugreifen. Am 2. Juni 1975 hatten ­einige hundert Prostituierte in Lyon die Kirche Saint Nizier besetzt. Diese Frauen forderten schon damals die Abschaffung des Straftatbestands der Anwerbung (Anm. d.Red.: Bisher wurden in Frankreich die Prostituierten bestraft, wenn sie um Freier warben).

Wir können es uns nicht leisten, noch ein halbes Jahrhundert zu warten, bis die Diskussion von neuem beginnt. Nichts gibt uns das Recht, noch länger zu warten.

Der Bericht, den die Generalinspek­tion des Sozialministeriums mir im Dezember 2013 vorgelegt hat, zeigt eine ­rasche Zunahme der gesundheitlichen ­Risiken, der Ansteckungsgefahren, aber auch der Traumatisierungen bei Prostituierten. Nach dem Bericht des AIDS-Nationalrats verlangen 10 bis 50 Prozent der Freier ungeschützten Verkehr. Eine kanadische Studie hat festgestellt, dass Prostituierte ein 60 bis 120 mal höheres Risiko haben, geschlagen und ermordet zu werden, als die übrige Bevölkerung. Nach einer US-Studie ist die Sterblichkeitsrate bei Straßenprostituierten doppelt so hoch wie bei Frauen in vergleichbarem Alter.

Wenn das Gesetz, das Sie heute beraten, verabschiedet wird, können Menschen unter den Bedingungen der Prostitution viel besser geschützt werden als in der Vergangenheit, sie können Forderungen stellen und Gewalttätigkeiten anzeigen.

Kampf gegen Menschenhandel, gegen Prostitution, das heißt vor allem die Opfer zu schützen, statt sie zu verfolgen; das heißt, ihnen echte Ausstiegsmöglichkeiten anzubieten. Das heißt selbstverständlich, verstärkt die Zuhälterringe auszuheben. Aber das heißt auch, jeden einzelnen Akteur im System der Prostitution in die Verantwortung einzubeziehen, einschließlich der Freier.

Diesen Perspektivwechsel unterstützen wir ohne jeden Vorbehalt. Effektive Hilfsmaßnahmen und entschiedener strafrechtlicher Schutz der Opfer müssen durch die Einbeziehung der Freier und die soziale Eingliederung der Prostituierten unlöslich miteinander verbunden ­werden. Ihr Gesetzentwurf schafft die Voraussetzungen für eine effiziente ­Aushebung der Zuhälterringe und damit für die Befreiung der Opfer aus der Zwangsprostitution. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, den ausstiegswil­ligen Prostituierten ein Aufenthaltsrecht zuzugestehen. Der Ausstieg ermöglicht die Gewährung einer finanziellen Unterstützung und den Erlass der Steuerschulden. Er verschafft Zeit, sich ein neues Leben aufzubauen.

Dieser Gesetzentwurf stellt eine echte soziale, gesundheitliche und berufliche Antwort auf die Notlage der Prostituierten dar. Wir sollten ihn als Ausgangspunkt für einen umfassenden Plan zur ­sozialen und beruflichen Eingliederung der Prostituierten betrachten, der ihnen Zugang zu wirksamen Präventionsmaßnahmen und zu geeigneten Programmen für die berufliche Veränderung eröffnet.

Ein erfolgreicher Ausstieg aus der Prostitution impliziert eine komplexe Begleitung. Der Staat darf dieser Komplexität nicht mit seiner eigenen Komplexität ­begegnen. Er muss es so einrichten, dass er den lokalen Initiativen die Koordinierung der öffentlichen Unterstützungsmaßnahmen wie Betreuung, Unterbringung, gesundheitliche Versorgung der Prostituierten überlässt. Er muss alle Fachkräfte begleiten, sowohl wenn sie sich speziell um die Minimierung der Gesundheitsrisiken oder um die Unterbringung kümmern als auch, wenn sie ihre Tätigkeit allgemeiner auf die Pläne der jeweiligen Person ausrichten.

Der Schlüssel zum Erfolg dieser Programme, die in Artikel 3 Ihres Gesetzentwurfs vorgesehen sind, besteht darin, sich auf die Bedürfnisse der Menschen zu ­beziehen und mit ihnen zusammen ­Lösungen zu finden.

Es geht um eine Summe von 20 Millionen Euro im Jahr, die im Staatshaushalt freigestellt werden müssen, um eine solch spezielle Betreuung, sowie einen besseren Zugang zu den Rechten und den Programmen der Risikominderung zu unterstützen. Diese Summe entspricht dem Zehnfachen dessen, was der Staat den Verbänden gegenwärtig als Unterstützung gibt. Damit gehen wir eine Verpflichtung ein, die deutlicher nicht sein könnte.

Diesen Gesetzentwurf anzunehmen, meine Damen und Herren, bedeutet nicht nur, die Sichtweise zu ändern, zu begreifen, wer die Opfer und wer die Verantwortlichen sind, sondern es bedeutet auch, die Transformation unserer Gesellschaft in Richtung auf mehr Gleichstellung der Geschlechter zu beschleunigen. Dem Jungen, der wissen will, wie er seine ersten Erfahrungen mit Mädchen machen soll, bringen wir bei, dass der Kauf eines Körpers für ein paar Geldscheine keine Option mehr sein kann. Der Studentin, die wissen will, wie sie es bis zum Monatsende schaffen soll, schlagen wir andere ­Alternativen vor, als sich zu versklaven. In den Ländern, die sich für die Abschaffung der Prostitution entschieden haben, ist die Gleichstellung der Geschlechter keine Utopie mehr, sondern Realität. Ist das Zufall? Ich glaube nicht.

 

Aus dem Französischen: Sigrid Vagt/für EMMA